Geschichten aus dem Irrenhaus

Seit nunmehr einiger Zeit arbeite ich ja in einem Theater, dessen Name an dieser Stelle jedoch unerwähnt bleien soll. Besser so. Was man da alles so erlebt… Ganze Romane könnte ich schreiben. Manchmal nette Sachen, meist allerdings einfach nur vieles, worüber man lediglich den Kopf schütteln kann.

Gestern fand mal zur Abwechslung wieder eine ausverkaufte Veranstaltung statt – ein Gastspiel. Bereits seit Ewigkeiten hingen dafür die entsprechenden Plakate überall herum, von denen ein großes, schmales Gesicht mit Glubschaugen herunterstarrte: Maddin Schneider, Schreck eines jeden halbwegs mit Grips gesegneten Humorfreundes, kündigte bereits seit über einem halben Jahr sein kommen an. Man stumpft mit der Zeit ab.

Nachdem ich tatsächlich meinen Arbeitsplatz auch mal erreicht (ein herzliches Dankeschön an dieser Stelle an den Wetterbevollmächtigten der Himmlische Reiche & Co GmbH sowie an die Dresdner Verkehrsbetriebe, die ihre Straßenbahnen kurfristige Umleitungen und direkt vor meiner Nase wegfahren lassen) und mich in die zauberhafte Dienstkleidung geschwungen hatte (hierbei wird besonderen wert auf die knitterfreie (!) weiße Bluse gelegt… zumindest von einigen Abenddiensten. Das beim Arbeiten manchmal auch Knitter und Falten in die Bluse kommen können, scheint denen neu.) konnte der Spaß beginnen – gleich am Einlass. Rudelweise Besucher, die noch nie vorher in einem Theater gewesen zu sein scheinen („Wo muss ichn jetzt hin? Da steht Eingang links drauf…“) und zum Großteil nicht unbedingt die Freundlichkeit in Person sind („Geht das ni ooch ma schneller hier?!“), sich beschweren, dass man ihre Karten einreißt („Ey! Dafür habsch viel Geld ausgegebn! Das gönnse dor ni einfach gabuddmachn!“) oder nach dem Einreißen ohne Karte weitergehen wollen („Brauchmor nimmehr!“ – „Sie sollten schon noch wissen, wo Sie ihre Plätze sind!“ – „Ach, gömmor uns die ni raussuchn?“). Eine Stunde lang das Ganze… Spaß! Freude!

Auch schön sind Zuspätkommer: Damit nicht jedesmal eine halbe Reihe mitten im Irgendwo aufstehen muss werden Zuspätkommer im Rang auf die Treppe gesetzt. Sie bekommen dazu noch ein Kissen und die Erklärung, dass sie nach der Pause gern ihre gebuchten Plätze einnehmen können, nur jetzt eben nicht. Mal ganz davon abgesehen sind die Plätze auf der Treppe meist mit besserer Sicht ausgestattet als einige der ursprünglich gebuchten Karten. Unter normalen Umständen ist das den meisten Besuchern absolut schlüssig und allein weil ihnen ihr Zuspätkommen peinlich ist akzeptieren sie das. Einige sind aber auf Krawall gebürstet und diskutieren dann… Na bitte. Wenn sie das unbedingt brauchen… Da beißen sie bei mir natürlich auf Granit. Letztens hatten wir erst wieder so einen Fall: Ehepaar, um die 40, ca. 20 Minuten zu spät und eigentlich mit Karten im Parkett. Ich erkläre ihnen die Modalitäten, die Frau nickt verständnisvoll – und der Mann macht ne Riesenkiste auf. Gestikuliert, wird laut, schimpft, das volle Programm. Geholfen hat’s ihm nichts, er musste trotzdem in den Rang. Der Frau war das sterbenspeinlich… Aber das Schönste daran: Nach der Pause sind sie freiwillig wieder in den Rang gegangen, nicht auf ihre Parkettplätze. Entweder hatten sie schöne Plätze im Rang gefunden (trotz des Geschimpfes) oder sie waren einfach nur zu hohl. Beides ist denkbar.

Nun aber zurück zu gestern. Immer wieder spannend ist der Getränkeverkauf in der Pause: Während die Leute in der Schlange an den diversen Ständen stehen haben sie ausreichend Zeit, sich über unser Angebot zu informieren – sowohl über ausliegende Angebotszettel als auch über das aufgebaute Sortiment, dass direkt vor ihnen steht. Daraus können sie dann z.B. entnehmen, dass es zweierlei Sorten Bier gibt: Carlsberg (mit Alkohol) und Holsten (alkoholfrei). Ich liebe es, dass trotzdem immer wieder Leute fragen „Habt ihr ooch Bier?“. Auch beliebt: „Ich nehm’än Sekt.“. Das ist dann der Augenblick an dem ich am liebsten den Leuten die Karte unter die Nase halten und „HALLO! Hier stehen drei Sorten drauf… Wie wär’s mal mit ner konkreten Bestellung?!“ sagen würde… aber nein, stattdessen ist man freundlich und fragt, am Besten mit liebreizendem Augenaufschlag: „Trocken, halbtrocken oder rosé?“. (Ähnliches gilt für Rot- und Weißwein). So ziemlich am allerliebsten habe ich aber die Besucher mit den Exklusivwünschen: „Ich hätt‘ gern än Campari Orange.“ (Alternativ Gin Tonic) – Äh… das ist keine Bar! Es steht nicht mal annähernd etwas Ähnliches auf der Karte… In solchen Fällen rutscht mir ein „Ich auch.“ dann doch ab und an raus. Geht nicht anders. (Gefolgt vom zuckersüßen Hinweis, welche Getränke sich auf unserer Karte befinden.) Derartige Anfragen gab es natürlich auch gestern wieder zur Genüge (klar, die kommen am Häufigsten von Leuten, die nur alle Jubeljahre mal ins Theater gehen). Am meisten zerschmissen habe ich mich allerdings gestern noch über die Geschichte eines Kollegen, der erzählte dass letztes Jahr vor der Veranstaltung jemand auf ihn zugekommen wäre und gefragt hätte, ob er ihm in der Pause ein Ragout fin warmmachen könne. Nein, bei uns gibt es keine warmen Speisen, bei uns gibt es überhaupt keine Speisen!

Letzter Akt des Tages (nach hunderten zu spülenden Gläsern) ist dann meist die Garderobenausgabe. Gestern glich das eher einer Jacken- und Schirmvergabe, wobei ein Kunde die „Vergabe“ wohl sehr wörtlich auffasste: „Da war noch ä Schörm dabei.“ Gut, das hört man oft (wir reden uns den Mund fusselig, dass die Leute das bitte gleich bei der Abgabe ihrer Garderobenmarke dazu sagen sollen…), also hab ich nochmal nachgesehen. War aber keiner da, auch nicht im zugehörigen Schirmständer. „Wie sah der denn aus?“ Angeblich soll es ein blauer Schirm gewesen sein, aber auch ein blauer Schirm war nicht da. „Stockschirm oder Knirps?“ – „Nu so ä Großer. Mitn Holzgriff.“ Da war kein großer, blauer Schirm, schon gar nicht mit Holzgriff! „Der muss dor da sein… Se gönn’dor ni einfach unsorn Schörm vorschlampn! Da gähm’se mir halt den Rotn da!“ Bitte? Der Mann wollte tatsächlich für den unauffindbaren blauen Stockschirm mit Holzgriff einen anderen haben, nämlich einen roten Stockschirm (mit Holzgriff!) aus dem gleichen Schirmständer. Dummerweise hatten sowohl ich als auch die Frau neben ihm, der nämlich der rote Schirm gehörte, etwas dagegen. Also laute Protestrufe und ein kurzer Disput, der darin endete dass die Frau des Schirmvermissenden dazustieß und ihrem Mann mitteilte, dass sie den Schirm doch im Auto gelassen hätten. Woraufhin er zu mir meinte: „Das hättense mir oh glei saachn gönn.“ Natürlich. Weil ich nämlich am Einlass Das Mitbringen von Schirmen überwache…?!

Damit auch das Personal noch etwas von Maddin Schneider hatte war gestern allerdings der letzte Akt nicht die Garderobenausgabe, sondern das geduldige Warten darauf, dass sich die Schlange am Autogrammstand endlich auflöste, damit wir zuschließen konnten. Das dauerte… und dauerte… und dauerte… Da wollen die Meisten ja nicht nur ein Autogramm für sich, sondern am Besten gleich für die komplette Familie und den ganzen Freundeskreis noch eins. Wer weiß, da sammeln sicher einige schon Geschenke für Weihnachten. („Un’noch eens für’dn Silvio. Un für’dn Danilo.“ undsoweiter…) Dazu kommen dann noch die Bilder, die unbedingt mit Maddin Schneider aufgenommen werden müssen („Ich will Zwee! Eens hoch und eens quer!“), bevorzugt von Damen Mitte-Ende vierzig. Da kann man Dinge beobachten… Wahnsinn. Die eine hatte eine Uralt-Knipse, die noch zum Aufziehen war, womit natürlich die Fotographierende ganz und garnicht klarkam, was alles nochmehr verzögerte. Und wie die an diesem Mann dranhängen! Unglaublich. Tatsächlich beobachtet: „Maddin,’sch gomm dir ma ä bissl nähor. Mei Mann is dor heude ni dabei. [1. Foto geschossen, Maddin zieht komische Grimasse.] Nu, un‘ jetz nor eens. un‘ offn näschsdn zieh’sch dann mei Dischörd aus, hihi! Ar geene Angst, ’sch habn BH an! [5 Sekunden später, nach dem Bild:] Ach nee… habsch doch ni!“. Maddin geht ganz schnell weg. Hilfe! Ich schäme mich für meine Landsleute!

23 Gedanken zu “Geschichten aus dem Irrenhaus

  1. Schämst du dich allgemein oder speziell vor dem Herrn Schneider? Falls letzteres der Fall ist, kann ich dich beruhigen. Der IQ seiner Fans wird auch in anderen Ecken Deutschlands nicht höher sein. 😉

    Es ist aber immer unterhaltsam, solche „Hinter den Kulissen“-Berichte zu lesen, besonders aus dem Service-Bereich.

    Sehr schön geschrieben, du hast mein vollstes Mitleid.

    Like

  2. Ich danke dir von Herzen für diesen großartigen Einblick! Ich habe jede wörtliche Rede laut mitgesprochen und mit dabei fast eingepinkelt vor Lachen! 😀 😀 😀

    Du wirst sofort unter meinen Empfehlungen verlinkt!

    Ich höre sie förmlich rufen: „Dah-niiieh-loooh! Gugeemol! Dor Schneidor Mordien!“ Ich brech ab! *rofl*

    Like

  3. @konrad: generell. leider. 😀 vielen dank für das kompliment 🙂

    @mary: danke, danke! 🙂 ich hab dafür bei deinem kommentar grad herzhaft gelacht, vor allein beim „schneidor mordien“ 😀 😀

    Like

  4. Also die Getränkesache kommt mir seeeehr bekant vor. Beim Catering haben wir damit auch desöfteren zu kämpfen, aber eher mit so etepetete-Leuten 😉 Die sind aber genauso schlimm.

    Like

  5. hehe, das glaub ich gern, verena! übrigens hat hannover sich jetzt mit ein paar zählern abstand den zweiten platz hinter dresden und vor münchen erkämpft. 😀

    @jay: vielen dank 🙂

    Like

  6. Bin durch Zufall hier gelandet und hab mal wieder so richtig herzhaft gelacht. Vielleicht sollte vor solchen Erzählungen die Warnung stehen: bitte beim Lesen NICHTS trinken – macht unschöne Flecken auf dem Bildschirm. *pruuust*

    Like

  7. ahoi michaela,

    ich freu mich – dass es dir gefallen hat und dass du auf meinem blog warst 🙂 ich hoffe doch sehr, dass dein bildschirm nicht unter meiner erzählung zu leiden hatte… 😉

    Like

  8. Wie schön beschrieben!
    Keine Angst in Österreich muss ich mich auch ganz oft fremdschämen.
    Hab eine Zeitlang als Billeteuse (wunderbarer Ausdruck für Kartenabreißerin – nicht?) gearbeitet. Zu den unaustehlichen Gästen ist dann noch eine stinkende Uniform gekommen, dürfte meine Vorgängerin versifft haben. Auf die Bitte hin diese doch waschen zu lassen, hat man nur ungläubig den Kopf geschüttelt. Hab ich dann auch nicht lang gemacht den Job.

    Like

  9. Es ist unfassbar. Ich musste lauthals lachen, als ich mir dein „Ich auch.“ vorstellen musste, herrlich!
    Und die Menschen da… gewollt ist leider nicht gekonnt. Trifft leider auch auf normale, menschliche, anerzogene Eigenschaften zu wie Freundlichkeit. Ich glaube wir Sachsen sind bei sowas sowieso leicht… na ja… in gewissen Schichten und Altersgruppen auf der unteren Seite des Mittelmaßes. Ich meine… wenn es Durchschnitt gibt, warum kann man nicht sagen Unterschnitt?

    Ach so, zum Schluss noch. Himmlische Reiche & Co GmbH. hahaahahahahaha! Wo haben die denn ihren Sitz? 😛

    Like

  10. Du bist ja immer wieder für Überraschungen gut.. Schön getroffen.. Und Maddin geht echt nicht.. Bin leider huete ncht meheute einer geistreicheren Stellungnahme fähig und bitte dies freundlich zu entschuldigen..

    Like

  11. Schön geschrieben!

    Ich hab ja beruflich auch so meine Erfahrungen mit der merkbefreiten und leseunwilligen „Kundschaft“ – da gibt’s Schoten, die gibt’s gar nicht…

    Und was den Maddin betrifft: ich mag ihn ja (bei Schillerstrasse war er ja auch ganz gut), aber das Liveprogramm im TV war sterbenslangweilig. Hab nicht mal geschmunzelt.

    Like

  12. sehr schön… die menschheit ist schon cool [und anscheinend nicht nur die ältere ;)!]

    habe gerade im kommentar über mir schotten und nicht schoten gelesen, wanke jetzt also ins bett – guts nächtle!

    Like

  13. @zeifi: ach was… darüber? nä! 😉

    @polkadots: oooohjeeeeh… das problem habe ich zum glück nicht! na, und für das gröbste gibts bei uns im haus zum glück ja auch die theatereigene wäscherei. da ist allerdings bei gastspielen keiner da… hätte ich an deiner stelle aber auch nicht lang gemacht, den job.

    @serenaden: hihi… du hast recht. „unterschnitt“. 😉 und äh… ich weiß nicht genau, wo die ihren sitz haben. das war leider bis redaktionsschluss nicht herauszufinden. verzeihung!

    @pottkieker: es sei dir verziehen 😉 und vielen dank 🙂

    @finchen: augenblicklich sinds 6 zähler 😉

    @stefan: vielen dank 🙂 leider ist dein bloggerprofil nicht öffentlich, ich hätte mich ja zu gern revanchiert für das kompliment… um maddin in der schillerstraße zu mögen schaue ich diese sendung zu wenig. unsere techniker, die sich ja aber das live-programm geben mussten, meinten allerdings, dass sich dafür geldausgeben beim besten willen nicht lohnen würde. lahm.

    @rebhuhn: danke, danke! 🙂 „schotten“ hätte theoretisch ja auch passen können. wer weiß, wo stefan seine erfahrungen mit der merkbefreiten kundschaft gemacht hat… 😉

    Like

  14. Über Michaela hier gelandet und herzlichst gelacht! Vielen Dank dafür.

    Komme ursprünglich auch aus der Gastronomie und habe sofort mitgelitten und in Gedanken durchgespielt. Furchtbar, was man da schon erlebt hat.

    „4 Millionen Deutsche können nicht lesen und 500 davon sind heute abend hier“
    Das wäre doch mal ein Schild, oder? 🙂

    Like

  15. ahoi andrea,

    schön, dass du dich hierher gefunden hast! 🙂 dieses schild würde ich SOFORT bei uns aufstellen! 😀 vielen dank, du hast mich da auf eine idee gebracht… 😉

    @stefan: prima, vielen dank 🙂

    Like

  16. Fantastisch!

    Meine Tochter arbeitet im Servicebereich und ich in einer Künstleragentur für Comedians (NICHT für Maddin *grins*). Somit konnte ich diesen lebendigen herzerfrischenden Erlebnisbericht vollends geniessen und nachvollziehen!

    Tolle Schreibe, Kompliment! Ich schaue jetzt öfter mal rein. Hast „Mary Malloy“ zu „verdanken“ 🙂

    Lieben Gruß aus Berlin!

    Like

  17. hallo V[ee], willkommen auf meinem blog und schön, dass es dir hier gefällt 🙂 vielen dank für das kompliment – das geht runter wie öl 😉

    deine tochter hat sicherlich ebenfalls ne menge solcher geschichten auf lager… du sollte unbedingt alle erzählt werden! 😉

    viele grüße nach berlin! 🙂

    Like

Hinterlasse einen Kommentar